symbol_publikationen

geschichten aus dem zaubergarten

frei erfundene kindergeschichten
erzählt 1986/1987
niedergeschrieben 1989/1990
selbstverlag berhard schlage

geschichten aus dem zaubergarten

wie diese geschichten entstanden sind

im jahre 1986 kam es zum wiederholten male zu einem schweren unfall in einem kernreaktor. verschiedene unfälle waren in den jahren davor geschehen, doch dieser hier, in der ukraine, in tschernobyl, betraf europa. er betraf den ort in dem ich lebte; in dem ich in einem kinderladen arbeitete; betraf mich, meine tochter und meine freunde. wir trafen uns im kinderladen und zu hause. dabei bestimmten fragen nach verseuchten lebensmitteln oder nach möglichen ausdrucksformen unseres protestes die gespräche ebenso, wie fragen danach, ob die kinder besser in der wohnung bleiben sollten oder draussen spielen könnten.

was mag in den kindern wirklich vorgegangen sein in jenen tagen? ehrlicherweise müssen wir sagen, dass wir darüber nicht viel wissen. ich kann mich noch daran erinnern, als ich selbst sechs oder sieben jahre alt war: ich bekam ein seltsames gefühl von verwirrung, als mein vater mir einmal erzählte, er hätte in meinem alter noch in dem fluss gebadet, der da heute als stinkendes braunes wasser vor mir herschwamm.

wird es unseren kindern später selbstverständlich sein, an manchen tagen nicht an die frische luft gehen zu können ? was wird die floskel „an-die-frische-luft-gehen“ in zukunft überhaupt bedeuten?

in jenen tagen waren wir ohnmächtig dieser unsichtbaren, unhörbaren und unschmeckbaren kraft mit namen radioaktivität ausgesetzt und an einem dieser dumpfen tage lieh‘ ich im kinderladen mein ohr einem kind, dass gerade anderen kindern eine geschichte erzählte. es erfand die geschichte von bäumen und von geistern im
wald, die in den bäumen wohnen und dafür sorgen, dass der wald gesund bleibt. und das kind erzählte, dass es mit diesen geistern reden wollte, warum es denn nicht draussen spielen gehen durfte.

ich empfand etwas trostreiches in dieser geschichte. ich konnte nicht sagen, ob es nun phantasie oder wirklichkeit wäre, aber ich konnte empfinden,dass so für die kinder eine möglichkeit bestand,
in ihrer art mit den erlebten ereignissen nach dem reaktorunfall umzugehen.

ich wusste um die bedeutung der märchenweiten für die kindliche phantasie und ich erzählte selber gerne geschichten. ich ging also mit den kindern in den wald. dort machten die vier-bis sieben jährigen mit mir einen kreis aus hölzern und steinen auf dem waldboden: dieser platz sollte unser „zaubergarten“ sein. dort erfanden und erlebten wir im sommer 1986 viele geschichten. ein paar davon habe ich hier aufgeschrieben.

des lebens sehnen kommt in der gestalt des kindes.
rabindranath tagore

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