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brief an meine lebenden und toten töchter

… ein antikriegsbrief über die kraft des unbedingten, über blutbäder und über die nebenwirkung von hingabe …

geschrieben im sommer nach beginn des ukrainekrieges, 2022
bernhard, alias perce-val: durch das tal

brief an meine lebenden - und meine toten töchter

ich sah einen mann betend neben seinem eben durch eine rakete mit streumunition ums leben gekommenen sohn – ich sah einen 7jährigen jungen, der seine arme wie sein soldatenvater in die hüften stemmte und grimmig in die mittagssonne schaute – und ich sah eine mutter tot neben einem kinderwagen liegen, darin ihr weinendes baby – es ist wieder krieg in europa. 

es ist wieder zeit, dass alte weisse männer, die nicht kämpfen wollen und sich hassen, junge männer die sich nicht kennen, gegeneinander kämpfen und verwunden lassen. es sind männer im krieg, die meine söhne, eure brüder und freunde sein könnten. 

ich wollte nicht, dass so etwas noch einmal in europa passiert. ich hatte mich entschieden. ich war in der friedensbewegung aktiv, habe geglaubt für eine partei einzutreten, die solche dinge zukünftig ohne gewalt zu regeln in der lage ist (und es gibt viele wege, solche konflikte ohne krieg zu lösen, die bereits in anderen konflikten gut funktioniert haben) und ich habe den kriegsdienst an der waffe verweigert. und nun schickt genau diese partei waffen in den krieg. das geld, das hier bereitgestellt wird, wäre dringend nötig, um die entlohnung der berufstätigen im gesundheitswesen zu verbessern, um wieder mehr lehrerlnnen für die ausbildung der nächsten generation einzustellen, oder für die re-naturierung ökologisch geschädigter landschaften und für die förderung europäischer zusammenarbeit hin zu einer wirtschaftskraft gegenüber den weltmächten. ich wurde getäuscht. und ich habe mich illusionen hingegeben. das ist keine einfache situation.

der krieg ist das kinder-gebären der männer: sie suchen diese unbedingtheit: sich total für etwas einzusetzen und bestehen wollen. es ist so ähnlich dem, was viele frauen erleben, wenn sie ein kind gebären: es ist blutig. es geht um das eigene überleben: beim verteidigen einer brücke; beim schutz von leben in bunkern; beim schutz eines getreidetransportes vor
angriffen.

es sind dieselben männer, die später in eurem arm liegen werden. die euren schoss erfüllen wollen – oder den eurer freundlnnen, oder der frauen eurer generation. sie suchen etwas. sie meinen dich in der begegnung. in dem moment. und wenn ihr euch einander tief genug berührt, öffnet sich etwas in ihnen. 

besser wäre es, sie würden diese erfahrung machen, bevor sie lernen, mit einer waffe umzugehen. es ist eine kraftvolle erfahrung. aber wenn männer die liebe nicht kennen gelernt haben, bevor sie eine waffe benutzen können, haben sie keinen vergleich – kein korrektiv. sie lernen es in der begegnung mit eurem leib kennen. und diese jungen männer dort in dem krieg, werden die liebe erst kennen lernen, wenn sie verwundet aus dem krieg zurück kehren. sie werden verhärtet sein. sie werden „kameradschaft“ mit liebe verwechseln. sie werden traumatisiert sein: innerlich erstarrt. sie werden krank vor angst sein und zittern – „kriegszittern“ wird es genannt. und ihnen wird etwas wesentliches fehlen. 

warum gehen junge männer in eine kirche und erschiessen betende menschen !? warum gehen sie in eine moschee und sprengen sich in selbst in die luft !? warum in eine synagoge, oder pagode und richten ein blutbad an !? blutbad. wie beim germanischen helden siegfried, der sich in drachenblut badet. was für worte in der gegenwart erscheinen. diesen männern fehlt etwas wesentliches und viele werden es das erste mal in der begegnung mit ihrer geliebten erleben. mit euch. in euren armen oder in gedenken an euren tod. auch gestorbene kinder, mädchen und frauen können diese öffnung in einem mann erschaffen.

wenn das licht ihres eigenen wirkens erwidert wird. wenn sie sich tief fallen lassen können. wenn sie geborgenheit im arm eines anderen menschen erleben, wenn ihre seele durch die
begegnung mit eurem tod geöffnet wird, werden sie zu jemandem, der keinen krieg mehr führen wird.

es sind dieselben männer, die seitensprünge begehen, die ihre kumpels betrügen und laute autos in der innenstadt fahren. sie sind getriebene. sie werden dich verletzen. sie lügen und sie geben sich illusionen hin. ihr idealismus wird ausgenutzt und sie merken es nicht. wegen ihnen wurden weltreiche gegründet und gingen ebensolche zugrunde.

aber die frauen sind es, die diese männer geboren haben. an euren brüsten haben sie gelegen, bevor sie gelernt haben zu denken. ihr habt ihnen die pausenbrote für die schule bereitet und für sie habt ihr euch später „schön gemacht“. ihr habt sie geküsst und euch von ihren händen berühren lassen. ihr seit es, die gehofft haben, in der begegnung mit diesem einen mann geschieht etwas, dass seine seele öffnet und wieder empfänglich macht. ihr habt dafür gesorgt, dass etwas zu essen da war und dass das trinkwasser sauber war. das war so im alten rom, im inkareich südamerikas, im indien der maharadshas und heute ist es immer noch so; in den meisten teilen der welt. es sind seit 2000 jahren immer die frauen, die das leben am laufen halten, während die männer für die irrtümer ihrer zeit ihr leben geben (davor war das für gute 10.000 jahre anders – und ich möchte gegenwärtig empfehlen, über die sozialen bedingungen dauerhaften friedens in matriarchalen kulturen mehr zu sprechen).

sie suchen etwas, die männer im krieg. sie sind verzweifelt. sie werden aus diesem krieg zurückkommen. tot oder lebendig. und sie werden vor dir liegen, oder stehen. vielleicht wird ihnen ein bein fehlen. ein arm. etwas in ihnen wird erstarrt und erschrocken sein. vielleicht für den rest ihres lebens. und ihr werdet ihnen begegnen; ihr werdet über sie trauern. ihr werdet mit ihrem tod, oder mit ihren einschränkungen weiterleben.

ich wollte nicht, dass das noch einmal passiert. es war nicht immer einfach, sohn eines (ehemaligen) frontsoldaten zu sein. aber ich möchte euch hoffnung machen, dass diese männer etwas suchen. und dass ihr in den begegnungen mit ihnen etwas wieder berühren könnt. ich glaube es ist möglich, aus der spirale der ewigen gegenseitigen vorwürfe und gewalt heraus zu kommen. sie wollen lieben, diese männer.

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