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die kunst des pirschens

über verschiedene techniken im übergang zwischen gesprächs- zu körperpsychotherapeutischer arbeit. reflexionen und vergegenwärtigen der situation des psychotherapeuten mit dem schwerpunkt auf die körperorientierte behandlung von traumata. der text zeigt wege auf, wie man heutzutage klientInnen darin unterstützen kann, das fühlende erkunden des eigenen seins wieder zu erlernen.

eigenveröffentlichung, 2012

die kunst des pirschens (1)

acht (!) verbreitete ergänzungen von gesprächs- zu körperorientierter psychotherapie

gehen wir davon aus, dass die dinge für sie gut gelaufen sind: sie haben eine therapeutische (zusatz-)qualifikation im bereich der körperpsychotherapie erworben, die auch von der deutschen gesellschaft für körperpsychotherapie anerkannt worden ist. sie haben sich zeit freinehmen können, um neben ihrem grundberuf auch körperpsychotherapeutische einzelarbeit anbieten zu können und sie haben wege gefunden, in einer ziemlich chaotisch anmutenden gesellschaft auch einen klienten zu sich in den behandlungsraum einzuladen.

(dann hätten sie einen häufigen weg zu körperpsychotherapeutischer arbeit seit den neunziger jahren beschritten: es ist das am häufigsten angewandte zweitverfahren und es wird in der regel ohne kassenärztliche zuweisung als privat abzurechnende einzeltherapie angeboten. (2)

je nach ihrer therapeutischen ausrichtung haben sie bereits sog. ersteindrücke von ihrem klienten gesammelt: vielleicht ist ihnen an dessen stimme bei der telefonischen terminvereinbarung bereits etwas über seine anspannung aufgefallen; vielleicht konnten sie an seinem bindungsverhalten bereits etwas gehemmtes und zurückhaltendes erkennen oder der händedruck zur begrüßung erlaubte ihnen eine einschätzung von meridian-dominanz und damit dem zustand seiner inneren organe.

sie werden also womöglich noch VOR der aufnahme anamnestischer auskünfte bereits einige wichtige informationen über das befinden ihres klienten bekommen haben. einige werden sie vertiefen wollen, oder sie werden versuchen wollen, ihre ersten eindrücke zu falsifizieren. bis hierhin gilt das wort eines der ältesten unserer berufsgruppe: „was sie in den ersten 5 minuten der begegnung mit einem klienten nicht herausfinden, werden sie auch in den nächsten 5 jahren therapie nicht herausfinden.“ (3)

seien sie also aufmerksam.

nun befinden sie sich im selben raum mit ihrem klienten. vielleicht nicht das erste mal, und sie werden seine reaktionen auf ihr praxisumfeld aufmerksam wahrnehmen. manche klientInnen machen jedes mal eine freundliche bemerkung über den blumenstrauß im foyer ihrer praxis; andere vergessen nie, sich auf einen der buchtitel in ihrem wartezimmer zu beziehen oder lassen bei jedem sitzungsanfang irgend einen unflätigen satz über die begegnung mit anderen verkehrsteilnehmerInnen auf dem weg zu ihrer praxis fallen. ein weiterer, noch lebender ältester unserer zunft erzählt zur illustration dieser situation die wunderbare geschichte von der vielseitigen rolle der schachtel mit taschentüchern in seinem arbeitsraum. (4)

während diese dinge geschehen, werden sie in begegnung mit diesem klienten ein spezifisches gefühl entwickeln, das in der gängigen fachliteratur als ‚übertragung‚ bezeichnet wird. (5) es gehört zu den besonderheiten unserer arbeit, dass wir unsere eigenen wahrnehmungen in gegenwart von klientInnen als hinweis auf qualitäten der begegnung und mögliche arbeitshinweise anwenden können. (6)
wir sollten uns dieses privileges immer wieder bewusst werden: in einer kultur, in der gefühle gemeinhin als irrationale belästigungen und einschränkungen der (wirtschaftlichen und sozialen) funktionsfähigkeit der menschen erlebt werden, an einem arbeitsplatz zu sein, an dem unser eigenes fühlen wichtig und wertvoll erscheint.

bis hierhin also ist vieles bei ihnen gut gegangen.

nun aber beginnen die schwierigkeiten, von deren umgang in der körperpsychotherapie in diesem artikel die rede sein soll:

sagen wir zunächst, dass ihnen immer in gegenwart ihres klienten etwas übel wird; oder dass sie an sich bemerken, dass sie besonders vorsichtig mit diesem menschen umzugehen versuchen; oder ihnen wird klar, dass dieser klient nicht einfach nur regelmäßig zu spät kommt, sondern dass die dafür verwendete zeit immer bei etwa 8 minuten liegt.

was fangen sie nun mit diesen eindrücken an?

vielleicht entdecken sie, dass ihre klientin, die bereits einige vorerfahrung mit therapien an anderen orten hat, schnell über ihr befinden ins gespräch kommt, dann detailreich ihre konflikte mit ihrer pubertierenden tochter beschreibt und schließlich im verlauf ihrer körpertherapeutischen sitzung regelmäßig zu weinen beginnt. man könnte doch meinen, dass sie erleichtert darüber sein könnten, dass ihnen hier einiges an material zum arbeiten geboten wird. aber sie beschleicht der eindruck einer gewissen, festgefahrenen choreographie dieser abläufe.

verbreitet mag auch die szene sein, in der eine klientin sich ihnen gegenüber mit den details eines problems öffnet, dies genauer beschreibt, sie dann mit fragendem blick anguckt und von ihnen erfahren möchte, was sie jetzt in der situation wohl ihrer therapeutischen meinung nach am besten tun solle.

lauter beispiele also, in denen es um eine vertiefung und weiterentwicklung des körpertherapeutischen kontaktes gehen würde. der kontakt kann sich dabei auf die beziehungsqualität zwischen ihnen als behandlerIn und ihren klientInnen beziehen, oder aber er bezieht sich mehr auf die unterstützung ihrer klientInnen, den kontakt zu sich selbst zu vertiefen; eine eigene, innere spur der wahrnehmung aufzunehmen und dabei neue aspekte des erlebens (in sich) zu ergründen.

bleiben wir zunächst bei den möglichkeiten, durch berühung die begegnung zu vertiefen.

dabei ist natürlich zuallererst die qualität ihrer eigenen wahrnehmung entscheidend: befinden sie sich heute im stress und müssen sich zusätzlich nun auch noch mit der emotionalen welt ihrer klientInnen auseinandersetzen? fanden sie sich heute morgen müde und unausgeschlafen vor und bemühen sich selbst, erst während ihrer arbeit wieder in dem neuen tag tritt zu fassen? …

gehen wir mal davon aus, dass sie heute in der lage gewesen sind, sich soweit zu sortieren, dass sie ihre wahrnehmung für jene ihres gegenübers öffnen können. dann wird zunächst von bedeutung sein, ihre eigene ‚posturale resonanz‘ (7) auf körperhaltung, stimme und bewegung zu vergegenwärtigen. vielleicht werden sie sich, während ihre klientIn sich mit der beschreibung ihres therapeutischen anliegens beschäftigt, mit einer modulation ihrer körperhaltung, ihrer atemspannung oder ihrer stimmführung beschäftigen, um herauszufinden, ob sie damit das erleben ihrer klientIn weiterentwickeln können.

wir machen das ja häufig unbewusst, indem wir beruhigend sprechen oder eine interessierte körperhaltung einnehmen, oder bei bestimmten details des berichteten zustimmend nicken. diese dinge implizit im kontakt zu tun, nennen wir dann ‚pacing‚ oder ‚leading‚ im therapeutischen dialog. (8)

sie werden womöglich dinge besprechen wollen und erkunden, was ihr empfinden in begegnung mit diesem klienten erklären könnte und sie werden abzuwägen haben, welche dieser empfindungen sie auch im kontakt zu ihrem gegenüber benennen wollen. es fällt ihnen vielleicht leichter, darüber zu sprechen, dass sie sich immer wieder bedrängt oder getrieben fühlen im kontakt mit ihrer klientIn, als dass sie erwähnen würden, dass sie immer wieder eine gewisse strenge oder härte in gegenwart ihrer klientIn verspüren und sich fragen, mit welcher person im leben ihrer klientIn diese empfindungen in zusammenhang stehen könnten? vielleicht ergeben sich aus dem zur verfügung stellen ihrer eindrücke nun auch explizite möglichkeiten, sich in therapeutischen rollenspielen mit verschiedenen inneren anteilen ihrer klientIn oder mit deren familiären angehörigen vertiefend zu befassen.

peter levine schreibt: „wir müssen wissen, dass therapeuten, die glauben, sich vor den empfindungen und emotionen ihrer klienten schützen zu müssen, diese unbewusst auch daran hindern, ihre empfindungen und emotionen zu erleben.“ (9)

manche situationen werden ihnen körperliche gesten nahe legen, die sie gezielt zum vertiefen emotionaler prozesse verwenden können: für das vertreten eines standpunktes werden sie ihre klientIn womöglich darum bitten, sich einmal hinzustellen und das eigene stehen im kontakt zu der besprochenen beziehung wahrzunehmen. in anderen situationen mag ihnen auffallen, wie sehr sich ihre klientin separieren und abgrenzen möchte. vielleicht werden sie sie dann einladen, sich einmal im kontakt etwas mehr zu entfernen, oder über abwehrende gesten ihrer eigenen hände und arme den wunsch nach distanzierung und resilienz zum ausdruck bringen zu können.

die verwendung körperlicher gesten kann eine sehr starke intervention sein, wenn sei dabei auf allgemein verwendete, kulturell geprägte gesten zurückgreifen: beispielsweise kann ein ’schulterklopfen‘ unter männern viele erinnerungen an (konflikthafte) männerfreundschaften auslösen; oder in sehr zärtlichen regressiven phasen der arbeit könnten sie gesten einsetzen, die üblicherweise eltern gegenüber säuglingen verwenden (wie das streicheln über den kopf, oder gesten, die gegenüber kleinkindern eingesetzt werden, wie beispielsweise die einladung, sich unter die arme greifen- oder auf den schoß nehmen zu lassen.

sie sollten also bereits vor der auswahl unserer geste eine in der anamnese gut begründete hypothese haben, die sie zu einer verwendung der einen oder anderen geste führen kann. sie werden im kontakt eine strategie verfolgen wollen, die ihnen begründeten anlass dazu gibt, im kontakt mit dieser/m klientIn besonders ein bestimmtes zeitalter ihrer biographie erforschen zu wollen.

gerade wenn wir schon länger körperpsychotherapeutisch berufstätig sind, also täglich viel mit berühung und dem berühren anderer menschen zu tun haben, vergessen wir manchmal, dass menschen zu uns kommen, die bereits seit tagen, wochen, oder monaten gar keine menschliche berührung mehr erfahren haben (wie z.b. bei älteren, alleinstehenden klientInnen), oder deren berührungserlebnisse sich nurmehr auf die einleitenden berühungen des partners für sexuelle handlungen, auf untersuchungsbedingte berührungen von ärzten oder anderen medizinischen behandlerInnen bezogen haben. auch die sog. gut gemeinten berührungen wie beispielsweise eine reiki-behandlung zur steigerung des wohlbefindens, eine massage zur entspannung, oder eine wellness-kosmetik-behandlung sind ja berührungserfahrungen, die mit einer intention einhergehen; berührungserfahrungen also, die sich um alles mögliche, aber nicht um das behutsame erkunden eigener innerer empfindungen und gefühle bemühen.

in diesem bereich körpertherapeutischer möglichkeiten, den kontakt zu vertiefen, geht es um die verwendung von berührung und die damit einhergehende bewusstheit. dies kann zum einen eine ähnliche intention haben, wie im bereich der gesten: sie geben einer klientIn eine berührung, weil sie damit in ihrer beziehung zueinander etwas ausdrücken möchten: die hand ihrer klientIn beim begrüßen etwas länger zu halten, um damit vertrauen und zuversicht zu signalisieren; oder die leichte berührung, die geschehen mag, während sie vielleicht ein taschentuch zum abwischen der tränen reichen. dabei ist ja das vermeiden von berührung nicht etwa geeignet, mögliche übertragungsszenarien auszuschließen. vielmehr wird die vermeidung von berührung im übertragungsgeschehen als eben dieses vermeiden wahrgenommen und die phantasien ihrer klientInnen über die ursache dieses ausweichens mögen interessante aspekte des therapeutischen beziehungsgeschehens beleuchten, wie tilman moser als beständiger vermittler zwischen psychoanalytisch-abstinenter und körpertherapeutischer therapie an vielen beispielen erläutert. (10)

berührung kann aber auch den sinn haben, einen raum der selbsterkundung zu gewähren:

wie anders fühlt sich eine klientIn bestätigt, wenn sie während des erkundens eines gefühls die hand ihres therapeutischen begleiters halten kann; oder um wie viel deutlicher wird das gefühl in einer ausgewählten körperpartie, wenn sie dort die berührung einer hand findet. auf diese weise können berührungen klientInnen unterstützen, ihren eigenen gefühlen nachzugehen; manche mögen schmerzhaft entdecken, wie oft die von ihnen erlebten berührungserfahrungen mit einer absicht verbunden gewesen sind: ‚lass doch deine schultern mal locker‘, ’nimm die finger aus dem gesicht‘, ’sei doch nicht so traurig‘, oder ’sitz aufrecht‘ sind beispiele für innere kommentare solcher intentionaler berührungen.

aus der begleitung bettlägeriger klientInnen sind viele hinweise zum erkunden der qualität ihrer berührung und der notwendigkeit, sich der nebenwirkungen ihrer berührungen für deren heilsamen wirkung bewusst zu werden aus der sog. glaser-arbeit überliefert. moina grossmann-snyder schreibt dazu beispielsweise, dass es in der berührenden begegnung den für beide erfahrbaren unterschied zwischen dem ‚mitschwingen‘ und dem ‚locken‘ zur beeinflussung von atem- und muskeltonusphänomenen gibt. begriffe, die erfahreneren körpertherapeutInnen intuitiv sinn machen. (11)

gerade aus der traumatherapie wird körperpsychotherapeutInnen wieder nahegelegt, durch ihre berührungen einen absichtslosen schutzraum für das erkunden innerer bewegungsimpulse zu bieten, weil die homöostase-strukturen unseres nervensystems diese aufmerksamkeitsbasierte wahrnehmung innerer bewegung für ihre selbststeuerung brauchen. schon aus der arbeit eines anderen ältesten unserer zunft, wilhelm reich, haben wir gelernt, dass das wiederherstellen der körpereigenen körperlichen pulsationsbewegung starke, heilsame impulse im körper freisetzt, die einer eigenen bewegungsrichtung zu folgen scheinen. (12) das wissen von den einfachen, freien bewegungen aus dem chinesischen qi-gong oder der indischen lathian-meditation ist aber noch sehr viel älter. diese kulturen wussten schon um 4000 vor unserer zeitrechnung um die bedeutung des anpirschens an körpereigene autonome bewegungen, als wichtiges mittel der heilung und emotionalen entspannung. (13)

hier wäre es dann angemessen, die von körperpsychotherapeutInnen am häufigsten zitierte aussage eines weiteren ältesten der psychotherapie anzugeben: ‚der eigene körper und vor allem die oberfläche desselben ist ein ort, von dem gleichzeitig äußere und innere wahrnehmungen ausgehen können. er wird wie ein anderes objekt gesehen, ergibt sich aber aus dem getast zweierlei empfindungen, von denen die eine einer inneren wahrnehmung gleichkommen kann.‘ (14) auf diese weisen verwenden sie berührung, um aspekte der therapeutischen beziehung in ihr bewusstsein zu heben.

es mag auch sein, dass sie anamnestisch den verdacht verfolgen, dass die schwierigkeiten ihrer klientInnen so frühe ursachen haben, dass sie vor dem beginn der sprachlichen kompetenzen liegen. in diesen fällen werden sie berührungstechniken verwenden, die ihren klientInnen erlauben, durch atmung, durch stimmlichen ausdruck oder durch einfache bewegungen ihre präverbalen empfindungen wahrzunehmen und zum ausdruck bringen zu können. in anspielung auf ein gängiges schmerzmedikament nannte eine klientIn diese triade einmal treffend ‚A.S.B.‘, für atem, stimme und bewegung, um sich die techniken der amplifikation emotionaler themen durch berührung zu merken! (15)

in diesen bereich von berührung fallen natürlich dann auch alle körpertherapeutischen verfahren, in denen gezielt durch eine erweiterung der atemkapazitäten der affektzyklus (16) beeinflusst werden soll, oder bei denen der stimmliche ausdruck zur erweiterung der affekt-motorischen-schemata (17) gefördert werden soll. auch jene techniken der körperorientierten traumatherapie, bei denen durch raumgreifende bewegungen die kampf- oder fluchtverhaltensweisen einer in ihrem trauma erstarrten klientIn wieder in gang gebracht werden sollen, fallen in diesen bereich der arbeit mit berührung. (18)

möglicherweise sind sie aufgrund des menschenbildes ihrer ausbildung sensibel für die energetischen aspekte der wahrnehmung ihrer klientInnen: ob jemand seine energie nach oben zieht, was wir früher den psychopathischen charakter nannten, oder ob seine energie sehr komprimiert erscheint, wie bei manchen korpulenten klientInnen, sind dabei nur zwei verschiedene aspekte, die wir in unsere arbeit aufnehmen können. so ließen sich mit körperthera-peutischen verfahren die komprimierten charaktereigenschaften ihres klienten durch mehr leichtigkeit und freude balancieren, wie der aufgeblähte, psychopathische charakter einige sitzungen lang sich mit ‚dampf ablassen‘ und einer besseren ‚erdung‘ beschäftigen wird. ich komme darauf noch im nächsten absatz zurück. (19)

sollten sie aber mehr das menschenbild der traditionellen chinesischen medizin aufgenommen haben, werden sie vielleicht wahrnehmen, wie stark das wasserelement einer person entwickelt ist; dass sie förmlich in ihrer eigenen angst versinkt und sie werden sie bemühen, mit übungen aus dem feuerelement das wasser zu verdunsten, oder sie werden das holz-element dieser person mit hilfe des wassers nähren und zuschauen, was für wunderbare neue triebe und blüten die so unterstützte klientIn zu tage bringt. lassen wir die komplexität des asiatischen menschenbildes hier bei dieser metapher ruhen. da ist sicher ein umfangreicheres wissen zu erkunden. (20) basis für diese möglichkeit der körperorientierten erweiterung psychotherapeutischer techniken ist die fähigkeit, erscheinungsformen unseres leibes auf ihre seelische eigenschaft hin interpretieren zu können, sogenanntes ‚körperlesen‘. ich gehöre noch jener generation von körperpsychotherapeuten an, die vor der ausbildungsklasse umhergehen mussten, und dabei von ihren ausbildern gelesen wurden. das hatte natürlich auch etwas magisches, was der so alles sehen konnte! wenn wir neueren neurowissenschaftlich basierten lernmethoden jedoch folgen, war der lerneffekt sehr gering. viel motovierender erscheint es heute, beispielsweise mit hilfe einer ‚anfass-bar‘-genannten übung die deutlich voneinander zu unterscheidenden gewebequalitäten der verschiedenen charakter- oder elementetypen zu ertasten und selbst zu erkunden, mit hilfe welcher interaktionen zwischen therapeutInnen und klientInnen sich diese wandeln ließen.

für diesen artikel bleiben jetzt noch zwei weitere bereiche der durch berührung unterstützten selbsterkundung unserer klientInnen: die eine möchte ich im rahmen dieses artikels nennen: einen ort finden. gemeint ist damit die suche einer/s körperpsycho-therapeutIn danach, einen eindruck, eine empfindung oder auch ein aktuelles gefühl im leib des klienten zu verorten: dieses verfahren wurde in der bioenergetik mit dem begriff des ‚grounding‘ verbunden. aus der erfahrung, dass ein ‚über eine erfahrung zu sprechen‘ eine ganz andere wirkung auf das erleben von therapeutIn und klientIn hat, als wahrnehmend und fühlend mit der erfahrung verbunden zu sein, wird mit diesem verfahren danach gesucht, wo in unserem körper wir die quelle unserer erfahrung empfinden. so mag ein ‚knoten im hals‘ als ausdruck eines gefühls der trauer leicht zu verorten sein; auch ein ’stein im magen‘ oder die berüchtigte ‚laus, die über die leber gelaufen ist‘ geben uns klare hinweise über eine körperpartie, die im körperpsycho-therapeutischen dialog aufzunehmen sein könnte.

wenn wir aber wahrnehmen, dass jemand allgemein ‚verkopft‘ ist, also von seinem leibempfinden wie abgeschnitten wirkt, folgt daraus sicher, dass wir nicht das problem noch verstärken, indem wir nun zudem auch noch am kopf zu arbeiten beginnen! wir werden vielmehr weiter unten am körper arbeiten und unseren klienten ermuntern, sich auch mit diesen kopf-fernen partien seines leibes anzufreunden. da mag es verspannte waden geben, oder wenig elastische hüftgelenke, die schon länger nach einem ausgleich rufen. wir mögen entdecken, dass ein pferde-ähnliches austreten in den oberschenkeln zurückgehalten wird oder eine kindliche freude am explorieren der welt sich gegen die zwanghafte arbeitsfixierung des kopfes raum zu verschaffen versucht. alles beispiele für eine beginnende neue erdung der person, anderen bedürfnissen als den ideen des kopfes zu folgen.

schwieriger wird es dann noch, wenn unsere klientin einen tiefen seelischen schmerz beschreibt, der aber nicht primär mit einem körperlichen schmerz einhergeht. in diesem falle könnten wir sie darum bitten, mit ihren händen eine bewegung zu machen, die diesen schmerz darstellt und wir könnten dann mit der bewegung als körperbezug weiterarbeiten.

oder aber die klientin befasst sich mit ihren empfindungen in einer beziehung. in diesem falle könnte sie erkunden, an welcher stelle ihres leibes die auswirkungen ihrer empfindungen auftreffen und welcher innere dialog, oder welche bewegung daraus entstehen; die kritik der pubertierenden tochter, wir erwähnten sie weiter oben im artikel schon einmal, erreichte die mutter unmittelbar als schneidender schmerz in ihrer brust; es wurde dann deutlicher, dass sie sich in ihrem herzen verletzt fühlte. sie nahm sich den körpertherapeutischen schutzraum, um dieser verletzung nachzuspüren, sie zu ‚pirschen‘, bis sie bei einem größeren, mehr aspekte ihres lebens umfassenden gefühl von geborgenheit wieder ankam. aus dieser erfahrung heraus konnte sie ihr bedürfnis nach einem neuen abstand zu ihrer tochter wahrnehmen und sich zu dessen umsetzung gedanken machen.

augenarbeit

die arbeit mit dem augenausdruck und das erforschen unserer sehfähigkeiten entstammt einer der wenigen mystischen traditionen, die das zeitalter der hexenverfolgungen in europa überdauert hat. bewahrt wurde die tradition bereits im 12. jahrhundert um die schule von bernhard von chartres (21) und dann von zigeunern durch das dunkle mittelalter gerettet. meines wissens war es wilhelm reich, der als erster ‚den blick‘ wieder in das therapeutische interesse aufnahm. den feinen tanz zwischen hingucken und wegschauen im therapeutischen kontakt zu berücksichtigen: wo schaut jemand hin, wenn er/sie sich eines bestimmten gefühls zu erinnern versucht? und warum entsteht dieses besondere empfinden immer wieder, wenn die person in diese richtung schaut, aber sie verliert den zugang dazu, oder kann sich völlig neue ressourcen erschließen, wenn wir sie einladen, in eine andere richtung zu schauen, während sie erzählt; allein die übung, klientInnen den unterschied erkunden zu lassen, zwischen sich selbst beim erzählen wahrzunehmen und sich darüber bewusst zu werden, dass sie während des erzählens von einer anderen person sehend wahrgenommen werden, kann viele erinnerungen an ungesehen-, ungehört-gewesen sein erweitern.

gerade wenn wir uns in themenbereiche um scham und eigensinn bewegen, kann die arbeit mit den augen eine sinnvolle ergänzung des kontaktes bedeuten, die die fragen des wiedergefundenen (berechtigten) misstrauens oder der sehnsucht nach einem vertrauten menschen aktivieren.

die (unterschiedlichkeit der) eigenen augen selbst bei geschlossenen lidern zu ertasten, kann unsere selbstwahrnehmng für die verschiedenheit unserer beiden körperhälften ebenso ergänzen, wie eine selbsterkundung unseres augenausdrucks im (hand-)spiegel uns zugang zu unbewussten aspekten unserer selbstdarstellung geben kann.

wegen der komplexen verschaltung unserer sehbahnen mit den bereichen unserer erinnerung kann die direkte arbeit mit augen-kontakt, wie sie beispielsweise loil neidhöfer beschreibt (22) ihnen direkten und unmittelbaren kontakt zu sehr frühen erinnerungen geben, wenn das aus therapeutischer einsicht nötig sein sollte. ich erinnere eine klientIn mit viel therapeutischer vorerfahrung, die zur behandlung tiefer ängste kam. sie litt unter diesen ängsten besonders morgens sehr, war aber außerstande, die quelle ihrer ängste zu ergründen. da sie stark kurzsichtig war, schlug ich ihr vor, mit dem augenausdruck (ohne brille) zu arbeiten. sehr direkt konnte sie zugang zu panikartigen ängsten kriegen und diese auch erlebnismäßig in ihrer kindheit verorten, wo sie während einsamer nächte im dunklen in ihrem kinderzimmer den geräuschen der bombardierung ihrer heimatstadt ausgeliefert war.

kehren wir also zum anfang dieses artikels zurück:
erinnern wir uns daran, dass manches in unserem beruflichen sein gut gegangen sein muss, wenn wir eine/n klientIn für körperorientierte psychotherapie vor uns in der praxis sitzen haben.

erinnern sie sich auch daran, wie viele bereiche ihres gehirns mit den qualitäten der berührungserfarhungen ihrer hände verbunden sind (23); dass also ihre berührung ermöglicht, auf weitreichende weise den kontakt zu ihren klientInnen zu choreographieren. erinnern sie sich daran, dass das, was wir früher die aura einer person genannt haben, heute als ‚peripersonaler raum‘ bezeichnet wird (24) und im schläfenlappen unseres gehirn gespeichert wird. wir wissen heute, dass dieser bereich für die arbeit mit sog. körperbildstörungen (25) von entscheidender bedeutung ist.

erinnern sie sich also auch daran, dass ihre tägliche arbeit mit bewusstheit und berührung (26) auch mit aspekten einer kollektiven bewusstseinsentwicklung verbunden ist: der gleichzeitigen verbesserung der inkorporation in unserer sinneswahrnehmung und einer erweiterten wahrnehmung der kaleidoskopartigen struktur unseres bewusstseins geht. (27)

dann wird uns klarer, dass eben das tägliche vertiefen und erweitern unserer berührungserfahrungen und jener unserer klientInnen noch BEVOR wir ein spezifisches verfahren wie biodynamik, posturale integration, analytische körpertherapie, oder wie sie alle heißen, mögen anwenden, bereits körperorientierte erweiterungen einer psychotherapie beinhalten. paradoxerweise sogar dann, wenn wir gar nicht explizit körperpsychotherapeutische verfahren anwenden können oder wollen.

in diesem sinne wünsche ich kollegInnen und kollegen weiter viel neugierde auf ihre nächste, klientInnen-induzierte reise in neue körperbasierte bewusstseinsbereiche.

bernhard schlage

literatur

(1) der begriff ist eine transliteration zum englischen wort ‚tracking‘, das in der neueren literatur über die körper-psychotherapeutische behandlung von traumata verwendung findet: z.b. in: pad ogden; trauma und körper; paderborn 2010, s. 262; der begriff stammt eigentlich aus dem sog. jägerlatein und bedeutet dort so etwas wie ’spuren lesen‘ oder ‚verfolgen‘; hier wird er verwendet, weil er besser als die älteren verwendeten begriffe ’sensing‘ (sinngemäß ’spüren‘) oder ‚feeling‘ (was man deutsch als ‚fühlen‘ übersetzen würde) deutlich macht, dass ein/e klientIn sich aktiv mit ihren sinnen um die wahrnehmung ihrer empfindungen, um das wiederfinden emotionaler empfindungen und um die bedeutung dieser wahrnehmungen bemüht. es wäre a.a.o. kritisch zu hinterfragen, welche kulturelle veränderung geschehen sein muss, dass man heutzutage klientInnen mehr als in früheren zeiten darin unterstützen muss, das fühlende erkunden des eigenen seins wieder zu erlernen. das ‚pirschen‘ ist in diesem falle auch nicht zu verwechseln mit einer der ‚techniken der kraft‘ aus dem schamanischen weltbild carlos castaneda’s: dort bedeutet es aber etwas ähnliches: nämlich die charakterlich erworbenen einschränkungen der wahrnehmung durch gezielte schamanische techniken zu erweitern. in: victor sanchez; die lehren des don carlos; essen 1996; s. 81ff

(2) mekkibb-studie der deutschen gesellschaft für körperpsychotherapie 2005

(3) als einen engagierten vertreter der kurzzeittherapie, paul watzlawik zugeschrieben

(4) der panamahut, münchen 2002; s. 66

(5) als der immer noch gültige klassiker des umgangs mit diesen aspekten der therapeutischen beziehung darf noch immer erwähnt werden: ralph r. greenson; technik und praxis der psychoanalyse; stuttgart 1973; s. 163ff

(6) leston havens, explorations in the uses of language in psychotherapy; psychiatry 42/1979, pp. 40-48

(7) zit. nach: peter a. levine; sprache ohne worte; münchen 2010; s. 67

(8) gabriele und klaus birker; was ist nlp?; reinbek 1997; s. 77ff

(9) peter a. levine; a.a.o.; s. 63

(10) tilmann moser; berührung auf der couch; frankfurt/main 2001

(11) in: berühren; stuttgart 1996; s. 53

(12) die funktion des orgasmus; köln 1987; s. 226

(13) z.b. in: i-ging und kabbala; freiburg im breisgau 1982; nr. 51; s. 192

(14) sigmund freud, GW, bd. 13, s. 235-289; frankfurt/main 1940

(15) arnold mindell, der leib und die träume; paderborn 1987; s. 20

(16) bernhard schlage; die entdeckung des unmöglichen; hannover 2008; s. 139

(17) george downing, sprache & wort in der psychotherapie; münchen 1996; s. 139f

(18) peter a. levine; a.a.o; s. 115ff

(19) roland bäurle; vom typentrauma zum traumtypen; berlin 1998

(20) achim eckert, das heilende tao; münchen 2008

(21) heinrich schippberges; die welt des auges; freiburg 1978; s. 13ff

(22) intuitive körperarbeit, hamburg 1998; s.90

(23) stichwort: der somatosensorische homunkulus; in: charles hampten-turner; modelle des menschen, weiheim 1986; s.75

(24) sandra & matthew blakeslee; der geist im körper; heidelberg 2009; s. 164

(25) bernhard schlage in energie & charakter, VOL 33, jahrgang 40; s.93-104; bühler(CH)2009

(26) alliteration zu moshe feldenkrais‘ bekanntem standardwerk der feldenkrais-behandlung: ‚bewusstheit durch bewegung‘

(27) das aperspektivische bewusstsein; in: jean gebser; ursprung und gegenwart; bd. I; schaffhausen 1986; s. 365 und der drehpunkt 7 des bewusstseins nach: ken wilber; integrale psychologie; freiamt 2001; s. 114

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