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ich sehe was, was du nicht siehst

erfahrungsbericht (m)einer operation am grauen star (katarakt-operation) –

geschrieben im sommer 2024 von bernhard schlage

bewusstseinserweiternde seh-erfahrungen

der alte zigeuner hatte mir gesagt, dass wir menschen nicht in der lage wären, die welt zu sehen wie sie ist… im gegenteil, wir würden immer nur den teil der welt und wirklichkeit sehen, der unsere gegenwärtige einstellung widerspiegeln würde. als ich dagegen protestierte, hielt er mir diese bilder vor augen, bei denen wir wahlweise eine junge hübsche- oder eine zahnlose alte frau sehen konnten. er erinnerte mich an die bilder des „magischen auges“ – diese im ersten eindruck chaotisch aussehenden 3d bilder, die erst nach reiflicher betrachtung eine ordnung erscheinen ließen und die sich auch zu einem in der luft zu schweben scheinenden bild veränderten (1). ich hatte bei ihm den weg der „tafeln von chartres“ (2) begonnen und seitdem viele veränderungen meines sehens bemerkt: veränderungen der wirkung von farben beim betrachten alter französischer kirchenfenster (3) und eindrückliche veränderungen meines/seines empfindens, bei der betrachtung des strahlend blauen himmels (und seiner verschiedenen räumlichen tiefen, link 4), veränderungen der wirkung von kontrasten/schatten bei betrachten sommerlicher landschaften (5).

ich war seit über 50 jahren kurzsichtig, mit schwankungen zwischen +2 bis +9 dioptrien und vor allem mit einem starken dioptrien-unterschied von mehr als 2 dioptrien zwischen beiden augen. erst durch das fusionstraining der übung der „tafeln von chartres“ (6) hatte ich gelernt, im alltag das bild meiner beiden augen in übereinstimmung zu halten. lediglich bei der betrachtung von wolkenformationen am himmel fiel mir die fehlende räumliche tiefe des sehens auf: der himmel erschien mir wie ein blau bemaltes brett und die wolken darauf wie aufgemalte wattepuschel.

der erste befund 

als mein augenarzt in rente ging, sagte er mir beim letzten besuch, dass ich vermutlich bald „eine kleine 10minütige augenoperation bräuchte, da sich in meinem schlechteren auge ein grauer star entwickeln würde.“ ich war schockiert und fand darin auch eine bestätigung meiner eindrücke der letzten monate, dass ich details im straßenverkehr schlechter sehen konnte. ich war verzweifelt: zum einen, weil nun ausgerechnet in dieser krise mein langjähriger vertrauter arzt mich verlassen würde und zum anderen, weil ein eröffnen des auges zum zwecke des austausches der linse für mich eine emotional nicht überwindbare hürde erschien. ich übte 3 monate fleißig „mit den tafeln (von chartres)“, die entstehenden bilder wieder schärfer zu stellen und konnte bis zur der ersten kontrolluntersuchung die werte erhalten bzw. leicht verbessern. erst als ein oder zwei jahre später die sehschärfe innerhalb weniger wochen deutlich milchiger wurde, entschloss ich mich zum aufsuchen eines facharztes, der mir zur baldigen op riet, weil der dioptrien-unterschied zwischen beiden augen nicht mehr durch meine „gehirnakrobatik“ aufzuheben war und ich im alltag deutliche einbußen meines sehens hinnehmen musste: ich konnte nur noch abwechselnd mit der sehschärfe des einen, oder des anderen auges wahrnehmen und das von mir betrachtete bild konnte wegen des wechsels der gehirnhälften/augendominanz kurzfristig deutlich schärfer oder milchiger werden. es fühlte sich an, als würde ich schlagartig älter geworden sein und nunmehr nur noch mit medizinischem hilfsgerät = künstlicher linse in der lage sein, zu sehen: da half die einsicht nicht, dass andere menschen in meinem alter schon den ersten herzschrittmacher – oder die erste künstliche hüfte brauchten.

am tag der operation 

ich empfand es also demütigend, mich morgens zum vereinbarten operationstermin gemeinsam mit 10 anderen leidensgenossen/patienten in der schlange vor der rezeption der augenklinik einzufinden. wir bekamen zettel zum ausfüllen, eine halbe tablette von etwas unbekanntem, das beruhigend wirken sollte, und eine nachricht für unsere begleitpersonen, wann ungefähr wir wieder abgeholt werden konnten. dann wurden wir für das betreten des operationsbereiches der klinik vorbereitet: wir legten unsere wertsachen ab, bekamen einen plastiküberzug der uns wie frischhaltebeutel aussehen ließ und schauten noch ein letztes mal in unsere digitalen endgeräte: was schreibt man an seine sozialen kontakte, wenn alle wissen, dass man nicht verreist und dennoch tagelang nicht reagieren könnte, weil lesen zu den tätigkeiten werden würde, die der augenheilung wegen zu vermeiden waren?! ich hatte mich für ein humorvolles „gif“ entschieden, dass dummerweise viele anders verstanden haben, als ich es gemeint hatte und was einige unruhe und viele nachfragen im virtuellen kontaktfeld verursacht hat – die dann alle unbeantwortet blieben, was für noch mehr unruhe gesorgt hat. (es ist wirklich gut, vor solch einer op darüber nachzudenken, welche nachricht man in den sozialen medien hinterlässt, wenn man tagelang nicht erreichbar ist.) schließlich erhielten wir tropfen, die unsere pupillen so weit aufstellten, als hätten wir uns seit tagen nur von kokain ernährt. etwas bedröppelt saßen die anderen patientlnnen und ich bleich, bewegungsverlangsamt weil beruhigt, und mit kokain-weiten pupillen im wartebereich vor den op-räumen bis eine/r nach dem anderen zu einer operation angeholt wurde, die dem vernehmen nach die zweithäufigste in der welt ist (7).

genug der gedanken, mein name wurde aufgerufen und eine womöglich hübsche junge arzthelferin führte mich in den op-saal. der operierende arzt fragte mich, ob ich die einzelnen schritte der operation beschrieben haben- oder lieber stille während des eingriffs haben wollte. die frage verwandelte mein erstaunen darüber, dass er offensichtlich am geöffneten auge zu operieren in der lage war, in das erschrecken darüber, dass ich offensichtlich auch ansprechbar sein würde und mit dem operateur würde reden können. ich bat um seine erklärungen während der operation. mein auge wurde auf eine weise abgedeckt, dass ich nicht mehr selbstständig die lider schließen konnte. die dringendste frage, nämlich wie denn mein auge während der op bei vollem bewusstsein stillgestellt werden würde, hatte ich in der aufregung vergessen zu stellen, als der arzt mit einem grell blendenden licht und einem mikroskop näher an mein auge herankam und ich nur passiv das prozedere wirken lassen konnte: es tat weh. das licht, meine ich: grell leuchtend, fast beißend fraß es sich in meine netzhaut und löste eine leichte übelkeit in mir aus: wie halten menschen so etwas aus?! mit dem schlichten satz, dass er jetzt mein auge eröffnen würde, begann meine persönliche katarakt-op von der am heutigen tage weltweit fast 40 tausend stattfanden: ich fand mich wenig davon getröstet, dass zu dieser selben morgenstunde sich also weltweit fast 1600 andere menschen in derselben situation befanden. nur meine (inneren) begleiterlnnen erschienen verabredungsgemäß alle in meiner „körperkarte“ (8).

ich beobachtete die weniger grell als die operationslampe leuchtenden prismen vor meinem eröffneten auge, die mich an die eindrücke aus den sog. “kaleidoskopen“ mit denen ich als kind gespielt hatte, erinnerten. als nächstes eröffnete der arzt meinen „linsensack“, jenes zarte, wie ein netz an den feinen ziliarmuskeln in der pupille aufgehängte gewebe, in dem sich diese dünne gewebescheibe befindet, die linse genannt wird und die das licht das gegenstände in unsere wahrnehmung reflektieren, zu etwas bündelt, dass auf der netzhaut dann zu elektrochemischen reizen umgewandelt wird, die wir später in unseren sehzentren in visuelle eindrücke der welt, die wir kennen verwandeln werden – ein komplexer biochemischer vorgang, den wir schlicht „sehen“ nennen.

das auge als fühlendes organ

mit dieser öffnung der pupille, hatten wir uns früher in sogenannten „ganzheitlichen augentrainingskursen“ oft beschäftigt: wir waren bei geschlossenen augenlidern mit den fingern zärtlich streichelnd und massierend über die form des augapfels gefahren und hatten den unterschied zwischen dem „etwas“ von lederhaut und iris und der öffnung, die an ihrer stelle im augapfel wahrzunehmen ist, ertastet. es ist möglich, an dieser stelle in das wesen eines anderen menschen hineinzuschauen, wenn man behutsam wahrnehmend seine aufmerksamkeit auf ein auge des gegenübers konzentriert und sich darin übt, den lidschlag zu unterlassen.

tiefe seelische berührungen entstanden unter den teilnehmerlnnen der augentrainingskurse, die ich in den neunzigerjahren in der volkshochschule meiner stadt leitete, wenn ein mensch in das auge des anderen hineinstieg: es war eine zartheit in der begegnung und oft eine klare orientierung darin, ob der weg in den kopf hinein-, oder sogar durch den hals in den leib des gegenübers führte – und auch bei den teilnehmerlnnen in der rolle der betrachteten entstanden deutliche eindrücke von etwas/jemandem, der durch das auge in die eigene person und biografie hineingestiegen kam; welche ängste oder sehnsüchte dieser besuch ausgelöst hat, war teil der reflexionen nach dem ende der übung. in meiner erfahrung gibt keinen ort der menschlichen begegnung, der unmittelbarer und direkter, ja man möchte meinen pure, seelische nähe ermöglicht, als die begegnung durch eben diese pupille.

und in diesen ort drang nun der augenarzt mit seinen metallischen klingen ein: als würde er eine optische linse an einem gerät austauschen. und betäubt und sediert wie ich war, fehlten viele äußerungen meines erlebens in dieser situation. ich finde bis heute kein körpergefühl zu dieser situation: meine ganze aufmerksamkeit schien wie gebannt von den lichtphänomenen vor-/ und -in meinem rechten auge. in meinem gehirn gab es ein geblendetes verkrampfen, ein zucken von lichtblitzen und ein gefühl ohnmächtigen ausgeliefert-werdens, an diesem empfindlichsten ort der seelischen berührung. in den wochen danach wird dieses sein und nachempfinden des erstarren- und überwältigt-werdens immer wieder erscheinen… es wird in meinen träumen auftauchen und dem sehen meines rechten auges vorrübergehend eine kalte klarheit geben, die erschreckend wirkte. das erlebte „fühlen des betrachteten“, das „hereinlassen der eindrücke“, leonardo da vinci nannte es „sensatione“ (4) und bewegt-werden von farben ist eine der erfahrungen, die sich erst wochen später wieder eingestellt hat. und nur durch übungen des wahrnehmens wieder möglich wurde: so habe ich beispielsweise nach der op mich manche stunde mit dem betrachten „monochromer“ farben beschäftigt und ihrer besonderen wirkung auf mein befinden im allgemeinen und auf die durchblutung und belebung meines starren, operierten auges im besonderen.

im verlaufe der weiteren operation wurde die neue linse eingefügt und das bild vor meinem auge wurde insgesamt sehr trübe und unscharf. nach den worten des operierenden arztes wurde etwas gespült und etwas wurde abgedeckt… für mich war es in dem moment unvorstellbar, dass ich bereits tags drauf schon ohne die mitgegebene augenklappe mich bewegen sollte. das auge fühlte sich wie wund an: als könnten seherfahrungen, fremdkörper und begegnungen ungeschützt in mein auge dringen, nachdem es auf diese weise behandelt worden war. natürlich gab es auch eine nebenwirkung der tropfen und anästhetika auf dem auge, die ein fremdes gefühl im bindegewebe des auges hinterlassen hatten. aber ich empfand überwiegend eine fühlbare starre des ganzen sehorgans, ein fremdkörpergefühl darinnen und noch immer verlangsamte körperbewegungen. bei geschlossenem auge sah ich eine graumelierte schlieren sammlung, statt des tiefen entspannenden dunklen, dass ich durch augenyoga so tief und angenehm zu empfinden gelernt hatte (9) und das hinter meinen geschlossenen lidern normalerweise zu empfinden war.

licht und dunkelheit der augenheilung

warum fanden die folgen des lichteinsatzes für die netzhaut und die sehzentren so wenig berücksichtigung in den op-vorbereitungen? warum gab es keinerlei hinweise, auf die versuche des gehirns, die lichtblitzartigen einwirkungen auf das nicht mehr zu schließende auge während der operation wieder abzubauen? war ich der einzige- der 1600 patienten dieser morgenstunde weltweit, der die folgen auf seiner netzhaut unter geschlossenen lidern nachempfinden konnte?!: der einzige patient, der das aufgewühlt-sein der farben unter geschlossenem lid wahrnahm, der den angespannten blutdruck im nachklang der invasiven behandlung fühlte, und dem das gelegentliche erschreckte aufwachen durch helles leuchten in den wochen nach der op auffiel!? (und damit sind nicht die sogenannten „blitze“ gemeint, die hinweise auf schädigungen der netzhaut sein können)

es gibt beim sogenannten „ganzheitlichen augentraining“ eine grundübung zum tieferen entspannen der augen, die palmieren genannt wird: von englisch „palm“ der handfläche: bei dieser übung wird der leicht gewölbte handteller über die geschlossenen augen gelegt, wobei die augenlider nicht berührt werden und der ballen auf dem wangen-/jochbeinknochen- und die fingergrundgelenke auf den augenbrauen (supraorbital knochen) abgelegt werden. dann folgend werden die atembewegungen angeleitet und es ist sogar möglich, durch hypnotische elemente in dieser übung die wärme der handflächen in die augen strömen zu lassen und dadurch die entspannende wirkung noch zu vertiefen.

diese einfache und sehr wohltuende übung hat menschen auf die idee gebracht, die wohltuende wirkung von dunkelheit auf die entspannung des sehens weiter zu erforschen: es finden sich dokumente dieser praxis des ins-dunkle-sehens in der christlichen kultur (übungen in der fensterlosen sog. krypta alter kirchen), in der griechischen kultur (die visionen der pythagoreer in dunklen berghöhlen) und sogar im tibetischen hochland, wo bis heute ein 49-tägiger aufenthalt in völliger dunkelheit ein wichtiges element des dortigen buddhistischen glaubenserfahrung darstellt. (11) da ich selber bereits umfangreich mit der wirkung der dunkelmeditation bekannt bin, habe ich mich in den tagen nach der operation immer wieder mit dem palmieren, und auch längerem abdecken meiner augen beschäftigt, um die heilsamen wirkungen des nachlassens der schlieren, blitze und grautöne hin zu einem gleichmäßigen, stets dunkler werdenden, tiefen schwarz zu unterstützen. in dem maße, wie die dunkelheit vor meinen augen wieder tiefer wurde, entspannten sich auch meine augen und in dem maße in dem der dunkle raum nicht mehr nur wie eine fläche erschien, sondern sich mehr und mehr von meinen augen zu einem kuppelartigen raum vertiefte, regulierte sich auch mein blutdruck wieder. vor allem aber gewann ich durch diese praxis das fühlende wahrnehmen meines auges wieder: das stille betrachten einer kerze, das ruhen des blickes auf der oberfläche eines nahen sees und das nachempfinden der gefühle meiner frau, ihrer herzlichen empfindungen, das ich in den ersten tagen nach der operation so schmerzhaft vermisst habe.

vom glück des neuen sehens

ich erinnere das vorsichtige öffnen der augenklappe zum tropfen des auges am tag danach: meine ängstliche vorspannung, ob ich denn wohl überhaupt etwas sehen würde – obwohl wir patienten gar nicht gucken sollten. die angst bei unwillkürlichen bewegungen oder im schlaf das auge unangemessen zu berühren und dabei einen unwiderruflichen schaden anzurichten. du ich erinnere mich an die ersten momente des sehens: die spiegelnden prismen im auge, das halbmondförmige von der seite einstrahlende licht, das sich an der kante der noch nicht verwachsenen linse brach. ich zweifelte daran, ob es sich dabei wohl um genau jene „blitze“ handelte, vor denen der operierende arzt mich gewarnt hatte (12) und ich erinnere die besondere erfahrung, dass ich als kurzsichtiger, dessen linkes auge zeit seines lebens deutlich besser sehen konnte und der folglich mit der rechten gehirnhälfte die welt mehr wahrnehmende mensch, plötzlich mit dem rechten auge/ der anderen gehirnhälfte sehen konnte. ich empfand eine welle des glücks… eine ungeahnte leichtigkeit in der brust. ein lächeln, ja lachen vor freude. etwas in mir fühlte sich auf tiefe weise befreit an. etwas, woran ich in meiner opposition gegen die invasivität des eingriffs nie nachgedacht hatte: das gefühl der erleichterung über die geringere behinderung, das gefühl der freiheit des sehens und dann auch die entdeckung, (an-) gesehen zu werden:

ich entdeckte völlig neu, wie das ist, wenn die enkelkinder den opa anstrahlen… wenn die geliebte frau einen voller wärme anschaut und die wärme dieses blickes nicht durch das tragen eines brillenglases gefiltert wird; ich entdeckte also dinge, die ich mein erwachsenen-leben lang so nicht erfahren hatte, bevor ich ohne brille mich im alltag bewegt habe.

in den wochen nach der operation, bei einem strandurlaub, beschäftigte ich mich mit schnurfusionsübungen und ringspielen, um eine vielleicht mögliche verbesserte fusion der neuen augen- und gehirntätigkeit zu erreichen. auch ging es darum, eine neue und nah-/ferneinschätzung bei bewegungen zu erlangen. mit jedem tag der spielerischen übungen verbesserte sich die koordination zwischen augen- und handbewegungen und das zielsicherere greifen nach dem geworfenen ring, selbst wenn ich nur ein auge, das operierte, verwendet habe.

wolkenbildung und andere nebenwirkungen des eingriffs

ein halbes jahr später…

neben den gefühlten unterschieden zwischen unserem auge und einer kamera gibt es auch wahrnehmbare unterschiede des sehens: was wir bei jedem foto einer kamera als sehr störend erleben würden, ist bei dem bild unserer augen für viele normal (und wird gerne übersehen): wir haben beim betrachten einer weißen wand, oder etwas romantischer bei betrachten des himmels vor sonnenuntergang, einige fliegende, oder auch schwimmende wesen in unserem sichtfeld, von denen uns kein augenarzt oder kein medikament befreien kann. es gibt patienten die über diese störungen sehr ungehalten sind, und andere, denen sie überhaupt nur gelegentlich auffallen und sie stören unser ideal vom völlig klaren sehen – manchmal sogar empfindlich. sie heißen „mouches volantes“ und es gibt wissenschaftsautoren, die eigene abhandlungen über ihre formen und wirkungen verfasst haben(13). ich war gespannt, wie sich jene vor meinem rechten auge nach der operation verhalten würden. denn in den ersten wochen waren sie fast ganz verschwunden. könnte das daran liegen, dass das augenkammerwasser im rahmen der op „gespült“ wird?! ich hatte vergessen, den arzt zu fragen, was genau eigentlich mit dem sogenannten “trabekelwerk“ (trabeculum corneosclerale) im auge durch die operation verändert wird: jener struktur also, die während des gebrauchs der augen für den regelmäßigen austausch – und damit die reinigung des, die linse umgebenden, augenkammerwassers zuständig ist!? bei diesem vorgang wird das kammerwasser und seine bestandteile durch einen schlemm-kanal ausgespült und neue flüssigkeit läuft nach. und zwar so, dass etwa alle 2 tage diese flüssigkeit komplett ausgetauscht wird. auch die „mouches volantes“ unterliegen diesem wechsel, was zur folge hat, dass ihre anzahl und formen wechseln. sie werden als sehende person beobachten können, dass manche der formen für wochen immer wieder erscheinen und sogar so genau zu erkennen sind, dass sie sie zeichnen könnten. um es kurz zu machen: meine „mouches volantes“ tauchten wieder auf: besonders eine art “gebundener schleife“ wie bei einem geschenk, spielte im nasalen bereich meines sehfeldes ihr spiel mit meiner aufmerksamkeit. ein paar monate fand ich eine art „wolkenbildung“ im operierten auge: wie eine schwade zog sie vor meinem sehfeld entlang und erschwerte manchmal den ersten, klaren blick auf eine situation. als sich dann beim betrachten des sommerlichen blauen himmels auch noch rußige punkte im sehfeld einfanden, war ich beunruhigt und bat meinen augenarzt um begutachtung. er fand heraus, dass die flüssigkeit des glaskörpers meines auges (also das, was hinter dem augenkammerwasser sich als gelartige struktur im augapfel befindet) sich durch „kondensation“ wie er sagte, verändert hatte und dieser glaskörper nun dabei war, sich von meiner netzhaut zu lösen. was sich vielleicht beunruhigend anhört ist eine normale begleiterscheinung des älterwerdens (14) wobei eine metastudie von der schriftenreihe „health technology assessment“ aus dem jahre 2006 (15) nahelegt, dass bisherige studien die fehlergrößen „vorerkrankungen“ und „alter“ der patientlnnen zu wenig erfasst haben. das ganze kann zu schädigungen der netzhaut führen und weiter möchte ich die phantasie meiner leserlnnen nicht bemühen… nur eben informieren, dass es eine folgesymptomatik der erleichternden operation gibt, die ärztlich zu beachten wäre.

das neue mitgefühl in unserer kultur 

ich kehre zum zigeuner vom anfang meines textes zurück: der alte mann, dem ich seinerzeit auf den treppen seines zirkuswagens begegnet bin, ist womöglich längst verstorben und ich weiß nicht, was seine haltung zu „katarakt operationen“ wäre. sein wissen aber, über die bedeutung der beiden verschiedenen arten der wahrnehmung unserer welt, begleitet mich (und unbewusst wohl auch jede/n andere/n betroffenen): die andere art des sehens wenn wir unsere augendominanz verändern, ist eine im medizinbetrieb viel zu wenig beachtete nebenwirkung für betroffene. der wechsel vom kameraartigen vergleich des sogenannten “scharfen sehens“, hin zu einem sehen, das von fühlendem wahrnehmen begleitet ist, von einem erfassen der welt. einem hinausspüren hin zum gegenüber, liegt im rahmen der persönlichen veränderungen durch diese operation: mithin das wiederfinden des in unserer kultur verloren gehenden mitgefühls als gesellschaftliches bindeglied scheint mir teil der erfahrung des sehens geworden zu sein.

referenzen:

  1. baccei, tom; das magische auge dreidimensionale illusionsbilder ed.: (n.e. thing enterprises). (1994). ars edition.
  1. derlon, p. (1982). die gärten der einweihung: und andere geheimnisse der zigeuner. sphinx verlag.
  1. vgl. auch beschreibungen in: charpentier, l. (1972). die geheimnisse der kathedrale von chartres. gaia-verl.
  1. gelb, m. j. (1998). das leonardo-prinzip. vgs.
  1. schlage, b. (2012). den himmel schauen. dgam.
  1. pennington, g. (1981). kleines handbuch für glasperlenspieler. hugendubel verlag.
  1. siehe: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/314991/umfrage/grauer-star-kosten-einer-kararaktoperation-in-ausgewaehlten-laendern/ : wie unsere welt wohl aussehen würde, wenn all diese jährlich 14(!) millionen an grauem star erkrankten mitmenschen tastend zwischen uns sich in ihrer mehr und mehr blinden welt bewegen würden ?! binnen 10 jahren wären fast 10% der bevölkerung unseres landes zu einem zurückgezogenen lebensstil von zunehmender sozialer einschränkung verurteilt. was würden die götter damit bewirken wollen ?! und würde es auslangen zu erklären, dass die götter auf diesem wege die abhängigkeit vieler menschen von der nutzung digitaler endgeräte lindern- und die entwicklung wahrer innerer werte fördern würden ?! 
  1. zur bedeutung des begriffs siehe: sandra blakeslee, der geist im körper, spektrum verlag heidelberg 2009
  1. tenzin wangyal rinpoche, übung der nacht, hugendubel verlag, münchen 1998, s.106
  1. aus: https://www.optikschweiz.ch/ recherche vom 05.10.2024
  1. bernhard schlage, eintauchen in die unendlichkeit, holzinger verlag, berlin 2016
  1. zeichnung aus: oliver sacks, migräne, rowohl verlag, hamburg 1996
  1. oliver sacks, das innere auge, rowohlt verlag hamburg 2001
  1. …und was er nicht sagte mit 25% eine häufige folgeerscheinung einer kataraktoperation: siehe: christine schäffer, prävalenz der vorderen glaskörperablösung bei patientlnnen nach einer kataraktoperation; universität graz 2014;
  1. deutsches institut für medizinische dokumentation und information, köln 2006, schriftenreihe health technology assessment, bericht nr. 48
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