symbol_publikationen

lust an der berührung

die deutsche übersetzung des artikels „lust an der berührung – ein beitrag zum biochemischen verständnis der strukturellen wirkungen von körperpsychotherapie“ aus 2016, erschienen im verbandsmagazin der dgam, ausgabe: 1/2019

die lust an der berührung

welche rolle sex und zucker für die wirksamkeit körperpsychotherapeutischer verfahren haben oder: ein beitrag zum biochemischen verständnis der strukturellen wirkungen von körperpsychotherapie / was ist eigentlich thixotropie?

sie war eine pute. genauer gesagt, ein teil der beinmuskulatur einer pute. er war ein kameramann, technisch dazu ausgerüstet, auch im makrobereich, also sehr nah, filmen zu können. die einzelnen schichten der muskelhülle wurden mit einer pinzette angehoben und er filmte jene strukturen, die sich dort auftaten. ich sah von feuchtigkeit umgebene fadengleiche strukturen, die sich dreidimensional aufspannten; gleitende netzstrukturen, die sich je nach dem auf sie ausgeübten zug vollständig in ihrer form verwandeln konnten. sie konnten sich verlängern oder verdicken; die strukturen des dreidimensionalen netzes verändern, ansatzwinkel einzelner fasern verschieben und damit die wirkenden hebelkräfte modulieren. völlig ausgeschlossen, hier von bloßer ‚reaktion‘ zu sprechen. hier war ein semifluides system dabei, sich selbst an veränderte bedingungen anzupassen. hier ein foto aus diesem film:

ich stellte mir vor, was mit dieser struktur wohl passiert, wenn sie durch äußere einflüsse beschädigt würde:

  • etwa, wie sie sich ändern würde, wenn sie durch einen schlag oder stoß schockartig gepresst und mit verdickung und verfestigung reagieren würde;
  • oder wie die qualität der feuchtigkeit durch falsche ernährungs- oder trinkgewohnheiten zu stark verwässern würde und dadurch ihre fähigkeit, halt und form zu geben, verlieren könnte;
  • oder wenn sie während einer operation an tiefer liegenden geweben durchtrennt und zerschnitten würde, und wie sie anschließend wieder form zu kriegen versuchte.

schlagartig wurde mir klar, wie weit entfernt all das kneten, drücken und walken der massagemäßigen behandlungsformen von einem angemessenen umgang mit dieser faszialen grundstruktur unseres leibes ist.

zwischen hautoberfläche und muskeln, innerhalb der muskeln zwischen einzelnen fibrillen, um die inneren organe, in der tiefe unserer waden ebenso wie um die eierstöcke einer frau: überall ist die grundsubstanz unserer gewebestruktur von diesen faszialen strukturen durchzogen. der bekannte systembiologe francisco varela brachte einmal den bildhaften vergleich, dass, wenn wir in der lage wären, alle knochen, organe und muskelgewebe aus einer katze zu extrahieren und nur die faszien erhalten blieben, wir die vollständige körperliche form des tieres vor uns sehen würden. (2) tom myers beschreibt in seinem aktuellen buch über ‚myofasziale meridiane‘, dass dieser versuch derzeit unter klinischen bedingungen auch mit einem humankörper unternommen wird. (3) ida rolf nannte die faszien aufgrund dieser qualität gerne: ‚die faszien sind das organ unserer struktur.‘ (4)

ich habe nichts gegen massagen zur steigerung des wohlbefindens und genieße selber auf vielerlei weisen nährende körperliche berührungen. aber dieser film machte mir schlagartig klar, wie viele unserer theoretischen modelle der behandlung muskulärer verspannungen und schmerzen völlig an der realität dessen, was da behandelt wird, vorbeigehen und ich fing an, mich genauer für diese strukturen zu interessieren.

die frühesten informationen, die ich über diese grundstrukturen unseres gewebes erhalten hatte, waren james oschmans untersuchungen zur gel-/sol-struktur des bindegewebes. er beschrieb, dass sich die grundsubstanz unter bestimmten bedingungen verhärten und verfestigen kann, während sie sich durch erwärmung und langsam steigenden druck (der hand des behandelnden) wieder verflüssigen und ihre strukturen sich wieder voneinander lösen lassen. (5) während sessions, in denen ich dem ‚rolfing‘ – oder ‚myofascial release‘ – (6) entlehnte behandlungsformen anwendete, haben mir klientinnen immer wieder die enorm erleichternde und das gewebe wie gleichermaßen das emotionale befinden lösende wirkung dieser behandlungsformen beschrieben.

milton trager entwickelte parallel dazu behandlungsformen, die diese günstigen nebenwirkungen auch auf den bereich von gelenken ausdehnen könnten. deane juhan schreibt darüber in seinem ‚lehrbuch der körperarbeit‘. (7) robert schleip verfasste seine dissertation zum thema der veränderungsfähigkeit der faszien. er extrahierte menschliche und tierische fasziensegmente und wies unter ‚in vivo’bedingungen nach, dass diese strukturen auch ohne nervöse innervation zu eigenständigen, formverändernden bewegungen (kontraktion und verlängerung / verdickung und elastizität) in der lage sind. (8) die hieraus sich ergebenden implikationen für die physiotherapeutische behandlung sind enorm und werden den für solche medizinischen erkenntnisse typischen zeitrahmen bis zu ihrer integration in das allgemeine medizinische behandlungsmodell benötigen (etwa ein dutzend jahre).

in meinem ersten buch über körperpsychotherapie (9) sowie auf mehreren fachkongressen (10) war ich darum bemüht, diese erkenntnisse zur arbeit wilhelm reichs und seinem verständnis von ‚emotionaler / biophysikalischer ladung im gewebe‘ in beziehung zu setzen. (11)

erkennen durch berühren

auch er verwendete berührungsqualitäten in seiner arbeit, die nicht in erster linie die mechanische lösung oder lockerung von gewebe zum ziel haben, sondern die bewusstmachung von gefühlen, erfahrungen und erinnerungen der klientinnen durch berührung.

seine frühen äußerungen dazu bedienen sich der begrifflichkeiten des nervensystems und er unterscheidet auch zwischen sympathischen und parasympathischen ladungen des gewebes und auf welche weise behandlungstechniken diesen verhältnissen des vegetativen nervensystems angepasst werden müssen. je tiefer reich jedoch in die erforschung der von ihm so benannten ‚bione‘ eindringt, umso deutlicher entwickelt sich eine begrifflichkeit, die bereits von „zellulärer ladung und von calcium- / natriumhaushalt der membranspannung der zellen der interzellularsubstanz“ spricht. (12) und reichs annahme eines zellulären, emotionalen gedächtnisses fand später in der arbeit erich jantschs anerkennung. (13)

viele körperpsychotherapeutische kolleginnen, die reichs methoden später weiterentwickelt haben (14), suchten die quelle dieser spannungen / energie denn auch folgerichtig im körper der klientinnen selbst und entwickelten formen der gewebearbeit, die als ‚entpanzerung‘ oder ‚befreiung‘ bezeichnet wurden. in der aktuellen rezeption dieser werke wundert man sich immer wieder, wie wenig damals die bedeutung der qualität der beziehung zwischen behandler / behandelten als ressource für eine befreiung dieser energien wahrgenommen worden ist. (15)

reich selber wurde in seinem spätwerk immer klarer, dass die quelle dieser von ihm nunmehr als ‚orgon‘ bezeichneten energien des körpers sich in der atmosphäre der erde befand. obwohl es für viele seiner zeitgenossen schwierig gewesen ist, die daraus folgenden forschungen reichs mit ‚atmosphärischem orgon‘ und wetterbeeinflussung, sog. dor-busting (16), nachzuvollziehen, hatte er sich – ohne davon kenntnis zu haben – bereits sehr weit den asiatischen vorstellungen einer atmosphärischen energie angenähert. auch das dortige verständnis, dass man dieses ki nicht in einer person erwecken, sondern die menschen lediglich für die aufnahme des atmosphärischen ki empfänglich machen muss, findet sich in seinem spätwerk. (17)

von der sexuellen befreiung zur entwicklung emotionaler intelligenz

was reich mehr als alle anderen vor ihm verstanden hat, ist der zusammenhang zwischen der fähigkeit einer person, ihre grundgefühle zum ausdruck bringen zu können und der damit in zusammenhang stehenden veränderung der energetischen ladung der gewebepartien, mithin also der in diesem artikel im fokus des interesses stehenden grundsubstanz. seine darstellung der charakterlich bedingten fixierung von lebensenergie in bestimmten körperpartien und die daraus sich ergebenden deutlich verschiedenen körperformen der klientinnen, ist bis heute grundlage der menschenkenntnis in der humanistischen psychologie: von lowen (18) über kurtz (19) bis hin zu dietrich (20) werden die grundlagen seiner typologisierungen als basis für eine rasche entwicklung therapeutischer strategien genutzt.

dabei darf die betonung reichs auf die befreiung sexueller energien und seine vorstellung, dass mit der wiederherstellung der ‚vollen orgastischen potenz‘ (21) der klientinnen auch alle anderen lebensprobleme bewältigt werden können, heute relativiert werden. seit ken wilber begrifflich die sog. „4 quadranten der lebenserfahrung“ erfasst hat, wissen wir, dass therapie alle quadranten und innerhalb dieser auch alle ebenen zu berücksichtigen hat, um zielführend zu sein. (22) reichs einsicht in die notwendigkeit, klientinnen angemessene ‚affektmotorische schemata‘ (23) zur emotionalen befreiung zu ermöglichen, ist heute standard in den international vereinheitlichten ausbildungscurricula körperpsychotherapeutischer trainings. (24) daniel goleman verfasste bestseller, die sich mit der populärwissenschaftlichen interpretation neurologischer erkenntnisse und deren bedeutung für die entwicklung emotionaler ausdrucksformen für unsere seelische und soziale gesundheit befassen.(25)

unbekannter in diesem zusammenhang ist die pionierarbeit jack painters (26), die zusammenhänge zwischen der unterschiedlichen gewebebeschaffenheit von klientinnen und deren überwiegender charakterstruktur herstellt. die basis dieses diagnostischen handwerkszeugs sind die gewebetypen nach sheldon und seine aufteilung gemäß einer betonten entwicklung einzelner keimblattbereiche aus der embryonalentwicklung: so differenziert sheldon zunächst etwa in endomorphe, mesomorphe und ektoderme gewebetypen; also menschen mit ausgeprägtem verdauungstrakt, solche mit stark entwickeltem muskelsystem und solche mit einem hochaktiven nervensystem. (27) painter hat in der folge die vielfältigen berührungseindrücke während seiner gut 40-jährigen berufstätigkeit als körperarbeiter geordnet und seinen schülern ein wissen zugänglich gemacht, auf welche weise aus der gewebebeschaffenheit rückschlüsse auf psychische grundkonflikte getroffen werden können, die dann die psychotherapeutischen behandlungswege um ein vielfaches effizienter gestalten.

all diese details beschreiben die auswirkungen des phänotyps des bindegewebes auf körperpsychotherapeutische be-hand-lungsformen, erlauben aber wenig einsichten in die struktur der grundsubstanz des bindegewebes selbst. das neuere wissen hierüber speist sich nach meinem kenntnisstand vor allem aus zwei quellen: hartmut heines arbeit zur grundregulation der extrazellulären matrix (28) und alfred pischingers und seiner schüler arbeit über ‚das system der grundregulation‘ (29). versuchen wir, uns zunächst als nicht- biochemiker in die gedankenwelt dieser forschungen hinein zu finden.

das biochemische bett unseres empfindens

ausgehend von hippokrates gedanken, dass bei krankheiten nicht der erreger das problem sei, sondern das ihn umgebende gewebe und die reaktion des immunsystems, begann pischinger in den 80er jahren in österreich mit seinen arbeiten zur erforschung der grundsubstanz des menschlichen bindegewebes. dabei wurde deutlich, dass das milieu jeder einzelnen körperzelle, sei sie nun eine muskel-, nerven- oder organzelle, von einer fluidalen substanz umgeben ist. die fähigkeit der zelle, ihrer funktion entsprechend im organismus tätig zu sein, hängt zutiefst von der struktur dieser extrazellulären substanz ab. pischinger spricht in diesem zusammenhang von der funktionellen einheit von zelle und extrazellulärraum (30)

hier eine grafik zur darstellung dieses verständnisses:

abb. grundregulation

die durch die blutgefäße in das umgebende gewebe eindringende nährstoffversorgung (der sog. lymphatische gewebestrom), die arbeit der vegetativ-nervlichen signalströme und die arbeit der zellen des bindegewebes stellen nach pischinger eine funktionelle einheit dar, deren arbeitsweise durch den zustand der extrazellulären matrix bestimmt wird. pischinger hat diese trias ‚das system der grundregulation‘ genannt. (31) wollen wir also mehr darüber erfahren, auf welche weise körperpsychotherapie gestalt-verändernd auf die gewebestrukturen einfluss nimmt, im besonderen auf welche weise der sog. gel- zu sol-wechsel des bindegewebes (thixotropie) in der körperpsychotherapie sich vollzieht, müssen wir uns mit dem system der grundregulation beschäftigen.

schauen wir uns zunächst an, welche rückschlüsse uns pischingers forschungen für die bisherigen erklärungsmodelle erlauben:

an keiner stelle im körper berühren wir einen muskel, der nicht als ganzer und zwischen seinen einzelnen myofibrillen zutiefst in ein flüssiges bett der grundsubstanz eingebettet ist. wir erinnern uns an das bild aus dem film vom anfang dieses artikels: unsere berührungen können sich an dieser fluidalen grundstruktur orientieren und weniger an mechanisch-physikalischen hebel-, druck- und zugkräftemodellen der menschlichen anatomie.

die ladungsverhältnisse der zellmembrane der muskeln, der nerven und des bindegewebes erlauben ein verständnis für ein elektro- magnetisches ordnungsprinzip in den behandelten gewebepartien.(32) heines verständnis ‚elektrochemischer schleusen‘ (33), pischingers ‚bioelektrische erscheinungen‘ beim nachweis der wirkung von akupunktur (34) und oschmans verständnis ‚piezoelektrischer ladungen im flüssigkristall des bindegewebes‘ (35) gleichen sich trotz der sehr verschiedenen entstehung dieser forschungen in erstaunlicher weise.

dies gilt sowohl für die lokalen verhältnisse von spannung und entspannung, als auch für die reizleitung zu zentralen bereichen des nervensystems. die haut und das bindegewebe können dabei als die berührbare oberfläche von tiefenschichten unseres gehirns und gedächtnisses verstanden werden (vgl. auch die morphologische einheit der entwicklung von haut und gehirn während der entwicklung ektodermaler strukturen in der befruchteten eizelle zu beginn embryonaler entwicklung (36)).

mit diesen ladungsverhältnissen lässt sich durch eine modulation der qualität unserer berührungen (druck, bewegung, tempo der berührung) und durch veränderungen der ladung des gesamten organismus, wie etwa durch bewegungsübungen, arbeit mit tiefenatem oder emotionalem ausdruck körperpsychotherapeutisch arbeiten. nochmals sei an dieser stelle betont: eine strukturelle arbeit am bindegewebe ist immer mit dem gesamten körper, seinem befinden und seinen erinnerungen verbunden. (37)

im grundlegenden werk zu den acht wirkformen der körperpsychotherapie, ‚the bodyworkers wheel‘ (38), wird denn auch folgerichtig zwischen behandlungstechniken auf der basis eines verständnisses mit kosmischer energie gemäß der traditionellen chinesischen medizin, arbeiten mit energetischen ladungen der zellmembrane und solchen, die sich auf die nervöse reizleitung zu zentralnervösen zentren der emotion und erinnerung bezieht oder arbeit mit dem thixotropischen effekt, unterschieden.

das sich selbst erschaffende bindegewebe

das bindegewebe ist als ‚dissipative struktur‘ (39) offen für solche veränderungen der energie und in der folge in der lage, seine eigenen molekularen schlüsselbausteine selbst zu kreieren und wieder herzustellen.

dieses phänomen ist gut belegt am beispiel der fibroblasten: jener zellen also, die die grundsubstanz aufbauen helfen und die nachweislich die qualität und konsistenz der molekularen grundbausteine ändern. (40) so werden sie in einer gewebepartie, die etwa starken zügen ausgesetzt ist, vermehrt minerale einlagern, wie uns das von überbein-bildung an handgelenken oder von der entwicklung des ‚reitbeins‘ in der sehne des grazilis- muskels am medialen oberschenkel von cowboys bekannt sein dürfte. anders herum wissen wir auch aus entspannungsorientierten verfahren, dass neben der nerval bedingten herabsetzung des muskeltonus sein geschmeidiger-werden auf der basis einer mehr fluidalen struktur der interzellularsubstanz möglich wird.

bisher hielten kolleginnen die aktivität der fibroblasten zur änderung der extrazellulären substanz für den grundmechanismus, der im gewebe zu den plastisch fühlbaren schwimmend-gleitenden oder schmelzenden veränderungen während spezifischer gewebe- behandlungen führte. robert schleip beschreibt, warum dieses modell zur erklärung der thixotropischen wirkung nicht mehr auslangt: die lebenszyklen sind zu langsam, als dass sie zur begründung für die unmittelbar palpierbare änderung des gewebes herangezogen werden könnten. (41)

wenn also die aktivität der fibroblasten nicht mehr zur erklärung der erlebbaren und am anfang dieses artikel plastisch be- schriebenen filmaufnahmen von bindegewebigen phänomenen auslangt, schlage ich vor, gemeinsam mit den leserinnen eine weile bei der betrachtung der entwicklung der grundsubstanz selbst zu verweilen:

wenn wir die evolution vom anfang des planeten bis zur bildung der ersten lebewesen verfolgen, ist für die entwicklung der grundsubstanz von bedeutung gewesen, dass nach der bildung der ersten makromoleküle diese sich mit einer schützenden hülle umgeben konnten und darin sich ein für das überleben von lebewesen spezifisches zellmilieu hat bilden können.

wie thomas brodbeck in dem film ‚die evolution des lebens‘ bild- haft sichtbar macht, wird derzeit vermutet, dass die frühen formen dieser membrane zufällig entstanden: die für die membrane nötigen aminosäuren schwammen lose auf der meeresoberfläche. durch den aufprall von regentropfen auf der wasseroberfläche wurden diese für einen moment von der oberflächenspannung der wassertropfen zu einer membran geformt, die sich beim wiedereintauchen der tropfen in das meer bereits auflöste. durch die ständige wiederholung dieses vorganges und weitere aspekte bildeten sich später stabilere zellmembrane. wir sprechen auch vom evolutionsprinzip der umhüllung.

wie zucker unser gewebe strukturiert

erst diese sich langsam stabilisierende membran bildet die voraussetzung für die kontrolle der biosynthese jener aminosäure- sequenzen, die heute unser genetisches erbe bewahren. betrachten wir nun diese oberflächen der zellen, so finden wir dort breite zuckerfilme, die es ihnen erlauben, kontakt zu anderen zellen aufzubauen. derartige substanzen, wie mureine, pektine, chitin, glykane und zellulose als oberflächenbestandteile bei bakterien, protozoen, hefen, pilzen und pflanzen erweitern die zellfunktionen erheblich. pischinger schreibt, diese hochpolymeren zucker-protein-komplexe „bilden ein molekularsieb, durch das der gesamte stoffwechsel von den kapillaren zur zelle und umgekehrt hindurch muss.“ (42)

ein effekt, der übrigens auch bei entstehung von gelenkerkrankungen, bei der synthese von hyaluronsäure in den gelenken, aber auch in technischen bereichen wie z.b. bei der herstellung von farben und lacken, oder beim spülen von tiefbohrungen bei der erdölsuche verwendet wird. (43)

während also die fibroblasten das stoffwechselaktive zentrum der grundsubstanz darstellen, bildet der zuckermantel der zelle, die sog. glykokalyx (44) die voraussetzung für die entwicklung differenzierten verhaltens eines vielzelligen organismus. dieser zellmantel ist entscheidend für die verankerung der zellen in der extrazellulären substanz sowie für die zellerkennung: z.b. bei einer immunreaktion gegen eindringende bakterien entwickeln immunabwehrzellen eine spezifische oberfläche, um (wie bei den bekannten legospielsteinen) an die eindringlinge andocken und diese dann unschädlich machen zu können.

jede organfunktion hängt von dem situationsgerechten auf- und abbau der grundsubstanz ab, und deren molekularsiebfunktion ist an die schnelle bereitstellung möglichst unterschiedlicher zucker- oberflächen der zellmembrane gebunden. heine schreibt, „deren struktur ist in der dns nicht in derart strikter weise verschlüsselt wie die aminosäuresequenzen eines proteins. außerdem ergeben sich hier sehr viel mehr kombinationsmöglichkeiten, als es die 20 aminosäuren für proteine erlauben. das synthetisierte grundgerüst der zuckerbiopolymeren wird erst nach ausschleusung in den extrazellulärraum durch entsprechende enzyme (…) zurechtgeschneidert. dadurch treten starke schwankungen in der mikrozusammensetzung der proteoglykane / glykosaminoglykane (der zellmäntel) auf. zusätzlich laufen spontane, eigenkatalytische polymerisationen, depolymerisationen und ringschlüsse der zuckerketten ab (…und) dazu kommen noch ionen- und wasserstoffbrückenbindungen mit struktur- und vernetzungs- glykoproteinen“. (45) karcher und polthier beschreiben diese strukturen in verschiedenen hyperboliden raumteilern. (46)

wir können uns also heute grafisch deutlich machen, wie sich die zuckerbiopolymere der grundsubstanz durch mechanischen druck und wärmezufuhr, wie etwa durch die hand eines sensiblen körper- arbeiters, verändern können. schauen wir uns eine solche strukturveränderung hier einmal in ruhe an:

(47) grafik aus hartmut heine

vergegenwärtigen wir uns an dieser stelle des artikels, dass, als ida rolf, die als biochemikerin ihre berufliche laufbahn begann, ihre hypothese vom wechsel des gel- zum sol-zustand des des bindegewebes entwickelte, viele der hier benannten aspekte der zellmembranforschung noch nicht bekannt waren. auch dass die möglichkeiten durch computer gestützte simulation, grafisch phänomene der strukturkomponenten des bindegewebes darzustellen, noch nicht bestanden. könnten wir dann wagen zu erkennen, dass es die fraktale organisation der zuckerpolymere in der grundsubstanz ist, die uns einen zugang zum verständnis der als thixotropie benannten phänomene in der körperpsychotherapie erlaubt!?

haben wir mit diesen ansätzen nun ein besseres verständnis jener phänomene aus guimberteaus film und unter unseren händen als praktizierende körpertherapeutinnen gefunden!? es ist die grundsubstanz, die über die kapillaren an das system der drüsen und über die blind in der grundsubstanz endenden peripheren nervenfasern an das zentralnervensystem angeschlossen ist. es ist ihre qualität, ihr ph-wert, die fähigkeit ihrer zellen zum formwandel der zelloberfläche, die für unsere immunreaktionen und die heilung von gewebeverletzungen zuständig ist. und es ist die thixotropie der grundsubstanz, die uns einen neuen ansatz zur erklärung jener während der gewebebehandlung in typischer weise auftretenden berührungsphänomene geben kann.

können wir heute als körpertherapeutische behandlerinnen ida rolfs aussage erweitern, dass wir unsere arbeit auf das organ der struktur des leibes richten und feststellen, dass wir uns mit der wieder-aktivierung jener für unsere gesamte gesundheit so wichtigen grundsubstanz beruflich befassen? zum wohle unserer klientinnen!?

erst weitere forschung wird zeigen, inwieweit wir eine erklärung für jene eindrücklichen erlebnisse, für die unsere klientinnen uns ihre dankbarkeit ausdrücken, gefunden haben.

literatur

(1) jean-claude guimberteau; strolling under the skin

(2) in: the organ of form: toward a theory of biological shape; journal social biological structure 10, s. 72-73; 1987

(3) s. 12; münchen 2004

(4) ida rolf; talks about rolfing and physical reality; s. 34; boulder/colorado 1978

(5) in: natural science of healing; unpubliziertes manuskript 1986

(6) peter schwind; rolfing; münchen 1985

(7) münchen 1992, s. 260 ff.

(8) active fascial contractility; ulm university 2006

(9) die entdeckung des (un-)möglichen; s. 86 f.; berlin 2008

(10) u.a. unter dem titel: `the spirit of touch – different layers of contact in bodypsychotherapy´ in einem vortrag auf dem „viieme congres international de somatotherapie in san francisco/usa“ im oktober 1995

(11) wilhelm reich; die funktion des orgasmus; s. 204; köln 1987

(12) die funktion des orgasmus; a.a.o.; s. 216

(13) die selbstorganisation des universums; münchen 1982; s. 302

(14) wie z.b. alexander lowen, gerda boyssen et.al.

(15) zur geschichte der therapeutischen arbeit mit den phänomenen von übertragung und gegenübertragung verweise ich auf einen aktuelleren artikel von mir: ‚blanche wittmanns busen und ärztlicher bluthochdruck‘ in der zeitschrift energie & charakter nr. 35; ch-bühler 2012; s. 67-77

(16) myron sharaf; der heilige zorn des lebendigen; berlin 1994; s. 333

(17) koichi tohei; kiatsu; leimen 1990; s. 54

(18) der verrat am körper; reinbek 1988

(19) körperzentrierte psychotherapie; essen 1985; s. 298

(20) die 5 lebensweisen; a-salzburg 2007

(21) die funktion des orgasmus; a.a.o.; s. 76

(22) integrale psychologie; freiamt 2006; s.80

(23) george downing; sprache und wort in der psychotherapie;

münchen 1996; s. 131 ff.

(24) s.a. www.eabp.org

(25) z.b. emotionale intelligenz; münchen 1997

(26) unveröffentlichtes manuskript

(27) w.h. sheldon, in: j.b. asendorpf; psychologie und persönlichkeit; berlin 1996

(28) in: lehrbuch der biologischen medizin; stuttgart 1997

(29) gleichnamiger buchtitel, stuttgart 2010

(30) pischinger, s. 18

(31) a.a.o.; s. 12

(32) wilhelm reichs aussagen über die oberflächenspannung der zellmembrane; in: ‚die funktion des orgasmus‘; a.a.o.; s. 216

(33) lehrbuch der biologischen medizin; a.a.o.; s. 50

(34) das system der grundregulation; a.a.o.; s. 139

(35) j.l. oschmann; energy medicine; edinburgh 2000

(36) vgl. in: bernhard schlage, die entdeckung des (un-)möglichen; a.a.o.; s. 159

(37) zur genauen innervation: robert schleip; fascia as a sensory organ; oklahoma city 2012 und yochanan rywerant; die feldenkraismethode; heidelberg 1985; z.b. s. 82 ff.

(38) lehrmaterial zur ausbildung in posturale integration; www.bernhardschlage.de

(39) ilya prigogine, modern thermodynamics; deutsch: vom sein zum werden 1998

(40) deane juhan; a.a.o.; s. 182 ff.

(41) private übersetzung des autors aus: fascia as a sensory organ; in: eric dalton; dynamic body – exploring form…; oklahoma city 2012; s. 137-163

(42) das system der grundregulation; a.a.o; s. 22

(43) wikipedia 24.4.2012; „thixotropie“

(44) hartmut heine; a.a.o.; s. 73

(45) a.a.o.; s. 51

(46) die geometrie von minimalflächen; spektrum der wissenschaft 10/1990; s. 96-107

(47) grafik aus hartmut heine; a.a.o.; s. 55

Nach oben scrollen
WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner